Stuttgarter Nachrichten vom 22.03.2003
 
Viele Seilbahnen im Land mit Brandschutzmängeln
 
Prüfbericht: Feuermelder fehlen - Modernisierung erfordert Millionenaufwand
Stuttgart/Heidelberg - Die Seilbahnbetreiber im Land haben das Thema Sicherheit offenbar jahrzehntelang nicht allzu groß geschrieben. Ein Prüfbericht der Landesbergdirektion offenbart nun die zum Teil erheblichen brandschutztechnischen Mängel an fast allen Bergbahnen im Südwesten.
VON TORSTEN SCHÖLL
In Heidelberg, in Bad Wildbad und auch in Stuttgart gehören sie zu den touristischen Anziehungspunkten. Kleinode, die besonders bei Freunden technischer Relikte aus Großvaters Zeiten beliebt sind: Standseilbahnen, die einen Hauch von Gründerzeit verströmen. Was da quietscht und wackelt, wenn Steigungen von nicht selten über 50 Prozent bewältigt werden, erfreut zwar manches Nostalgikerherz. Dasselbe könnte dem Fahrgast vor Schreck aber stehen bleiben, wäre ihm gegenwärtig, wie es um die Sicherheit in den Bahnen steht.
Besonders in Stuttgart und Heidelberg stellt der jetzt vorliegende Prüfbericht der Landesbergdirektion, der in Auszügen schon vor Wochen an die Betreiber ging, die Verantwortlichen vor fast unbezahlbare Aufgaben. In Stuttgart, wo im Stadtteil Heslach seit 74 Jahren die Standseilbahn zum Waldfriedhof verkehrt, rechnet man mit drei Millionen Euro Kosten für die geforderte brandschutztechnische Modernisierung der Bahn. Die Renovierungskosten für die zweiteilige historische Königstuhlbahn in Heidelberg taxiert Joachim Schäfer, Ingenieur bei der Landesbergdirektion in Freiburg, der Aufsichtsbehörde aller 20 Seilbahnen im Land, "auf acht bis neun Millionen Euro". Die Bahn aus den Jahren 1885 und 1907 zählt zu den touristischen Hauptattraktionen der Universitätsstadt. Weil für die untere der beiden Heidelberger Seilbahnen, die Molkenkurbahn, das Brandschutzgutachten den kompletten Austausch der historischen Wagen anordnet, fürchten aufgebrachte Bürger nun, dass die Anlage zur "Kitschbahn" verkommt. Die beiden Wagen, so kritisierten die Prüfer der Landesbehörde, sind bis dato lediglich mit einem Bolzen verbunden. "Wenn der bricht, geht der untere Wagen ab", erklärt Schäfer. Auch in Bad Wildbad, so Wildbads Bürgermeister Walter Jocher, könnten die Kosten für die Modernisierung der Standseilbahn auf den Sommerberg sich am Ende bei neun Millionen Euro einpendeln. Wer das bezahlen soll, ist bisher völlig unklar. Das Verkehrsministerium prüft derzeit Fördermöglichkeiten.
Angeordnet wurde das Gutachten im November 2000, nachdem bei der Brandkatastrophe im österreichischen Kaprun in der Standseilbahn zum Kitzsteinhorn 155 Menschen in den Flammen zu Tode kamen. Wäre in einigen der baden-württembergischen Seilbahnen ein Feuer ausgebrochen - vermutlich hätte es erst einmal niemand bemerkt. Die Prüfer mussten feststellen, dass mit einer Ausnahme bei allen Bahnen keine Brandmeldeanlagen vorhanden waren. Nur die neue Bahn in Künzelsau gilt den Prüfern als nahezu vorbildlich. In Wagen anderer Bahnen fanden sich mobile elektrische Heizanlagen - Brandfallen erster Güteklasse. Fast schon kurios das Fazit des behördlichen Mängelberichts. Der stellt fest, dass beim Brandschutz bisher die Tatsache "nicht ausreichend berücksichtigt wurde, dass an den Zugseilen Fahrzeuge befestigt sind, in denen sich Personen befinden".
Die Hasenhornbahn in Todtnau, ein Sessellift aus dem Jahr 1968, präsentierte sich den Brandexperten derart verschlissen, dass die Anlage nun für rund 1,5 Millionen Euro von neuem gebaut oder gleich ganz geschlossen werden muss. Wie andere marode Bahnen bekam auch die Hasenhornbahn eine Gnadenfrist. Gibt es keine Verlängerung, steht in Todtnau die touristisch wichtige Bergbahn zum 1020 Meter hoch liegenden Gasthaus Hasenhof voraussichtlich vom 31. März an endgültig still.
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